Konsum & Mode #03

Konsum
      Revolution

Wie die Kleidung zur Mode wurde

Wer kann sich heute noch vorstellen, die gleichen Kleidungsstücke zu tragen wie die eigenen Eltern oder Großeltern? Über viele Jahrhunderte ist das ganz normal gewesen. Die meisten Menschen stellen ihre Kleidung nach althergebrachten Methoden selbst her.

Bis zum 14. Jahrhundert besteht die Kleidung größtenteils aus Rohlingen in Trapez-, Dreiecks- oder Rechteckform, die mit wenigen Nähten zusammengefügt werden. Die Grundform der Oberbekleidung ist für Männer und Frauen gleich: ein im Falle der Männer bis zum Knie oder zur Wade, bei den Frauen bis zum Boden reichendes Gewand mit Ärmeln – die Tunika. Nun kommen neue Schnitttechniken zum Einsatz: Kleidungsstücke werden aus kleineren Einzelteilen zusammengenäht und direkt an die jeweilige Person angepasst. Diese Neuerung ermöglicht enger anliegende, individuellere Kleidung und in der Folge die Entstehung der Mode. Hinzu kommen weitere Innovationen wie Verschlüsse an der Körpervorderseite oder neue Techniken, um Ärmel zu nähen. Von nun an gibt es unterschiedliche Schnitte für Männer- und Frauenkleidung. Diese Aufteilung existiert bis heute, sieht man von einzelnen »Unisex«-Kollektionen ab.

Modischer Wandel beschränkt sich aber nicht auf den Schnitt. Eine wichtige Voraussetzung für den zunehmenden Kleidungskonsum der Hansezeit ist die Verfügbarkeit von erschwinglichen Stoffen verschiedener Farbe und Qualität. Ab dem 12. Jahrhundert setzt sich auch in Europa der in Asien schon lange verwendete horizontale Trittwebstuhl durch. So werden längere Stoffbahnen, schnellere und umfangreichere Stoffproduktion und neue Muster möglich. Zusammen mit neuen Färbetechniken entsteht eine farbenfrohe Stoffvielfalt für einen wachsenden Handel mit Stoffen. Auch Luxusprodukte wie Seide aus Italien und aufwendig verarbeitete Wollstoffe aus Flandern kommen durch die Hansekaufleute nach Nordeuropa.

Mode-Influencer:innen im Europa der Hansezeit sind Adlige an den königlichen und kaiserlichen Höfen. In den Städten ahmen reiche Bürger:innen diese nach. Die selbstbewussten Städter:innen haben genügend Geld, um sich teure Stoffe und die besten Schneider:innen zu leisten. Durch die große Auswahl an Stoffen in verschiedensten Preisklassen wird es aber auch für weniger »gut Betuchte« möglich, sich modisch zu kleiden und der Oberschicht nachzueifern. Heute dagegen entstehen Trends nicht nur in einer einzigen, sondern in verschiedenen Gesellschaftsgruppen und verteilen sich dann überall: von der Straße auf die Pariser Laufstege und wieder zurück. In der Modetheorie wird diese Trendentwicklung auch als »trickle across« bezeichnet.

Im Mittelalter bringt die Nachahmung von Mode Unruhe in die durch Stoff geordnete Gesellschaft: Wenn sich die weniger Vermögenden modisch immer wieder an die sozial Höherstehenden angleichen, ist eine Abgrenzung über Kleidung nicht mehr möglich.

Um Status in einer großen, anonymen Stadtgesellschaft weiterhin über die Kleidung darstellen zu können und um modebegeisterte Personen vor dem finanziellen Ruin zu bewahren, werden in den meisten Städten Luxusordnungen erlassen. Gegenstand sind vorrangig Kleidung und Schmuck der Frauen, über die eine Familie Vermögen und Rang öffentlich zur Schau stellt.

Je nach Einkommen oder Besitz ist manchem Haushalt das Tragen edler Stoffe wie Seide oder besonderer Farben wie Kermes-Rot untersagt. So entdecken in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts die aufstrebenden Bürger:innen Schwarz als Modefarbe für sich, denn die aufwendige Färbung ist in den Luxusordnungen nicht reglementiert. Vermutlich wegen der Nachfrage der reichen Bürger:innen verbessern Färber:innen ihre Technik und erzeugen ein intensives, langlebiges Schwarz. Die Farbe wird zum Trend, und ein modisches Schlupfloch wird zur langlebigen Modefarbe.

Anonymous: Minnesänger Burchard von Wengen (1305–1340). Deckfarbenminiatur auf Pergament. Maße: 35 × 25 cm (Blatt). In: Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse). Universitätsbibliothek Heidelberg. Cod. Pal. germ. 848, f. 300r. DOI: 10.11588/diglit.2222#0136

Der Minnesänger Burchard von Wengen, dargestellt in der »Manessischen Liederhandschrift«. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts tragen Männer und Frauen weite Tuniken.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist die Mode körperbetonend. Die hier abgebildete Frau trägt modische dunkle Stoffe und hat reichlich Verzierungen an ihrer Kleidung.