Nachhaltigkeit #03

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Alte Pflanzenfasern wiederentdeckt

Nachhaltigkeit boomt! Auch bei Textilien werden vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern umweltfreundliche und ressourcenschonende Produktionsweisen immer wichtiger. Mülldeponien und Klamottenberge in Wüsten zeigen das Problem von Überproduktion und nicht biologisch abbaubarer Kleidung in extremer Weise. Jede Sekunde wird eine ganze LKW-Ladung Kleidung verbrannt oder auf eine Deponie geworfen.

Angesichts dessen reduzieren viele Verbraucher:innen ihren Konsum oder greifen zu Second-Hand-Mode. Aber auch nachwachsende, biologisch abbaubare Rohstoffe werden immer mehr nachgefragt. Noch sind etwa 88 von rund 120 Millionen Tonnen verarbeiteter Fasern Chemiefasern. Es braucht Alternativen, denn das für ihre Herstellung benötigte Erdöl ist nicht nur eine endliche Ressource, sondern auch extrem umweltschädlich. Eine der größten Zukunftsaufgaben für die Textilindustrie ist also, die Produktion von Chemiefasern wie Polyester oder Acryl auf biobasierte Rohstoffe aus Zellulosefasern, wie Lyocell und Modal, umzustellen. Doch noch besser wäre es, auf vollkommen biologische Rohstoffe zurückzugreifen. Denn diese verursachen nicht nur während der Produktion weniger Emissionen, sie sind auch vollständig biologisch abbaubar. Schon bevor die Baumwolle im 19. Jahrhundert andere wichtige Faserpflanzen verdrängte, waren Flachs bzw. Leinen, Brennnessel und Hanf gängige biologische Rohstoffe.

 

Flachs/Leinen

Leinen ist als biologischer Rohstoff bereits bekannt. Gerade im Sommer ist Leinen als Textil beliebt, da es kaum Feuchtigkeit aufnimmt und nicht nass geschwitzt werden kann. Schon während der Hansezeit ist Leinen neben Schafwolle ein Hauptrohstoff, vor allem für die Unterkleidung. Jedermann und -frau trägt ein Unterhemd oder Kleid aus Leinen. Im Anbau hat die Flachspflanze große Vorteile gegenüber der Baumwollpflanze: Sie ist sehr pflegeleicht, benötigt nur geringe Mengen an Düngemittel und Wasser (nur ungefähr ein Viertel vom Verbrauch einer Baumwollpflanze) und ist durch ihre Pflanzenstruktur weniger anfällig für Schädlinge. Zudem kann jeder Teil der Flachspflanze genutzt oder kompostiert werden, sodass kein Müll entsteht. Ein echtes »Zero Waste«-Produkt! Die eher kühlende Eigenschaft der Leinenfaser macht sie jedoch nicht zum idealen Ersatz für Baumwolle.

 

Brennnessel

Gewebe aus Brennnesselfaser sind schon eher mit Baumwolle vergleichbar. Textilien aus Nesselfasern oder Bast sind ziemlich in Vergessenheit geraten. Dabei wurden aus dieser Pflanze schon vor Urzeiten Stoffe gefertigt. Durch die Beschaffenheit ihrer Fasern, die innen hohl sind, hält Kleidung aus Brennnesselstoff im Winter warm und fühlt sich im Sommer angenehm kühl auf der Haut an.

Wie die Flachspflanze brauchen Brennnesseln im Vergleich zur Baumwolle nur wenig Wasser, Pflege und Pestizide im Anbau. Aktuell finden Nesselgarne Verwendung in Mischgeweben mit Baumwolle oder Viskose. Die erzeugten Garne können noch nicht fein genug gesponnen werden, um reine Brennnesselgewebe nutzen zu können. Die Mischung mit Garnen aus Baumwolle oder Viskose kompensiert die schwierigen textiltechnologischen Eigenschaften der Nesselfaser wenigstens teilweise. Die positiven Trage- oder Funktionseigenschaften werden bei der Mischung möglichst weitgehend erhalten. Wie Flachs ist auch die Brennnessel ein »Zero Waste«-Produkt und vollständig biologisch abbaubar. Zudem können Brennnesseln wirklich überall wachsen.

 

Hanf

Auch die Hanffaser bzw. der Hanfbast ist vollständig biologisch abbaubar und eine der vielseitigsten Naturfasern. Hanftextilien sind antibakteriell, sehr halt- und belastbar und wirken wie Gewebe aus Brennnessel im Sommer kühlend und im Winter isolierend.

Die Hanfpflanze wächst schnell, benötigt sehr wenig Wasser und keine Herbizide, Pestizide oder synthetischen Dünger im Anbau. Warum diese Superpflanze nicht schon längst zum Standard in der Textilverarbeitung geworden ist? Wegen der Verwandtschaft zum Rauschmittel Cannabis ist der Anbau von Hanf vor allem in der westlichen Welt lange Zeit gesetzwidrig gewesen. In der industriellen Nutzung ist China den westlichen Ländern weit voraus: Dort war der Anbau von Hanf nie verboten. Zurzeit finden über 50 % der weltweiten Hanfproduktion in China statt, mehr als die Hälfte der über 600 internationalen Patente auf die Textilproduktion mit Hanffasern sind dort registriert. Leider herrschen in den Produktionsstätten Chinas nicht immer faire Arbeitsbedingungen. Beim Kauf von Kleidung aus Hanffasern ist es daher wichtig, auf deren Ursprung und Textilsiegel zu achten.

Doch auch für diese biologischen Rohstoffe gilt, dass sie nur vollständig biologisch abbaubar sind, wenn sie einzeln oder mit biologischen bzw. biobasierten Fasern verwendet werden. Polyester-Mischgewebe stellen aktuell das größte Problem für das Recycling von alten Texti­lien dar.

Hanfstengel

Brennesselfasern
© Jens Söntgen