Nachhaltigkeit #04
Gebt uns euren Stoff…
…so lautete der Aufruf des Europäischen Hansemuseums im Mai 2022. Gesucht wurden “Stoffgeschichten” über textile Stücke mit einem besonderen Werdegang. Aus 100 spannenden Einreichungen musste nun eine Auswahl getroffen werden – keine leichte Aufgabe! Hier sind neun Stoffgeschichten, die uns besonders beeindruckt haben:
Frau Hoffmanns Mutter wurde 1922 geboren und wuchs mit fünf jüngeren Geschwistern auf einer kleinen Hofstelle in Niedersachsen auf. Zur Hochzeit bekam sie, wie damals üblich, eine Aussteuer. Teil dieser Aussteuer waren auch Bettwäsche und Leinenlaken mit dem Monogramm “D.R“, also den Anfangsbuchstaben ihres Vor- und Nachnamens.
Als Frau Hoffmann die Wäsche erbte, hatte sie zwar Verwendung für die Bettwäsche, das Leinenlaken landete jedoch ungenutzt im Schrank.
Ihre gute Freundin, Frau Richter, hatte schließlich die Idee, aus dem feinen Leinenlaken ein Sommerkleid zu nähen. Das Kleid ist zu einem Lieblingsstück von Frau Hoffmann geworden und hält Erinnerungen an die Mutter wach.
Im Jahr 1915 verlobte sich Frau Boltz Oma im dänischen Aahus. Als Frau Boltz 1950 getauft werden sollte, nähte ihre Oma das Verlobungskleid zum Taufkleid um. Seitdem ist das Kleid für die Taufen der Familie genutzt worden, zuletzt für Frau Boltz Kinder 1984 und 1987. Heute ist der Stoff über 100 Jahre alt und wartet auf seinen nächsten Einsatz.
In einem Schrank auf dem Dachboden der Familie Langenbach in Hamburg befindet sich ein weißer Unterrock (oder auch Unterkleid). Dieser stammt von der Urgroßmutter Elisabeth, die 1886 geboren wurde. Elisabeth betrieb mit ihrem Mann Clemens auf einen Bauernhof in Niedersachsen. Dort wurde Flachs angebaut, verarbeitet und gesponnen.
Der Unterrock ist also eine Eigenproduktion der Familie und über 100 Jahre alt, er wird daher bis heute gut aufbewahrt. Am Kragen eingestickt sind die Initialen von Elisabeth, die an seine Macherin erinnern.
Das Hochzeitskleid von Frau Vietor-Engelke ist für die Familie ein ganz besonderes: Es wurde 1956 von Frau Vietor-Engelkes Mutter, die an der Kunstschule Bremen “Modeklasse” studierte, entworfen. Genäht wurde das Kleid von einer Freundin ihrer Mutter, die Schneiderin war.
Als Frau Vietor-Engelke 1983 heiratete, ließ sie das Kleid ihrer Mutter in selbiger Schneiderei ändern und anpassen.
Wieder 30 Jahre später suchte ihre Tochter nach einem passenden Brautkleid. Auch sie entschied sich für das Familienstück. Es wurde wieder etwas angepasst an Geschmack und Person. Wer genau hinsieht erkennt bei allen drei Frauen die Spitze und auch eine Schleife auf dem unteren Rücken wieder. So haben bereits drei Generationen der Familie im gleichen Kleid geheiratet.
Die Materialknappheit nach dem Zweiten Weltkrieg brachte auch für die Kunden der Pariser Schneiderateliers neue Bedingungen mit sich: Wer sich 1945 ewas schneidern lassen wollte, musste das Material selber mitbringen. Frau Lewis brachte daher ihr gutes Kaschmirplaid mit in die französische Hauptstadt und ließ es zu einem edlen Mantel schneidern.
Der hochwertig verarbeitete Mantel wurde von Frau Levy-Artmann immer gern getragen und ist trotz seiner fast 80 Jahre noch gut erhalten.
Frau Brennes Eltern lernten sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Lüneburg beim Tanzen kennen. Ihre Mutter machte eine Lehre zur Schneiderin, für die Verlobung 1947 nähte sie aus einer alten Uniform ein Kostüm, von dem die Jacke noch heute in Familienbesitz ist. Aus dem gleichen Material und alten Wolldecken bekam Frau Brenne als Kind ebenfalls noch Wintermäntelchen genäht.
Auf der Gartenbank von Familie Pletzing in Flensburg geht es bunt und bequem zu: Ein langes, auffällig gemustertes Kissen bietet dort besonderen Sitzkomfort. Doch der schöne Stoff war nicht immer ein Kissenbezug: In den 1950er Jahren trug Frau Pletzings Mutter diesen als Rock. Mit der Zeit änderte sich die Mode, doch anstatt den Rock wegzuwerfen, funktionierte Frau Pletzing ihn um – nun sorgt das Textil für eine farbenfrohe Sitzgelegenheit.
Nach dem zweiten Weltkrieg mangelte es in Deutschland an allem. Um die Hungersnot zu lindern, schickten die USA ab Juni 1946 CARE-Pakete nach Deutschland. Diese enthielten neben Konserven auch Säcke mit Mehl. Zu dieser Zeit wurde alles wieder- oder weiterverwendet. Auch Textilien waren knapp, so entstand vermutlich dieses Hemd aus amerikanischen Mehlsäcken, das Frau Beck uns zugeschickt hat.
Für die Hochzeit ihres Onkels 1929 bekamen Frau Oesting und ihre Schwester neue Kleider. Es war üblich, Kleider so zu nähen, dass sie den Mädchen einige Jahre lang passen würden: Es gab einen breiten Saum, den man immer weiter auslassen konnte. Auch als Jugendliche fanden sie den Stoff noch schön, sodass die Kleider zu Blusen umgenäht wurden. Später wurden die Blusen zu Kinderkleidern für die Enkel der Schwestern. Und so findet der Stoff seit dem Jahr 2000, also mehr als 70 Jahre nach seinem Kauf, noch Verwendung als Taufkleid der Familie.
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