MENÜ
MENÜ

Produktion #07

Das Verlags-
      System

Produktion und Produktionsbetriebe in einer Hand

Einzelne Handwerker:innen stellen zunächst jeweils kleine Mengen für einzelne Kundschaft her. Die Vorproduktion größerer Mengen wäre eine zu große finanzielle Investition. Um die Produktionsmengen zu steigern, übernehmen finanzstarke Kaufleute die Kontrolle und Lenkung des Produktionsprozesses. Diese Organisationsform – der sogenannte Verlag – setzt sich zuerst im 13. Jahrhundert in Flandern durch.

Die Verlage schießen das Geld für Rohstoffe vor und koordinieren alle mit der Herstellung von Laken betrauten Handwerksbetriebe. Dafür haben sie das exklusive Recht zum Weiterverkauf der Waren. So können innerhalb kurzer Zeit große und bezahlbare Warenmengen zur Verfügung gestellt werden – Tuche und Stoffe werden zu einem Exportschlager und finden auch in weit entfernten Gegenden reißenden Absatz.

Im Gegenzug werden die von den Verlagen beauftragten Handwerker:innen zum Festpreis entlohnt. So geraten die Hersteller:innen allerdings auch in Abhängigkeit von ihren Verlagen. Sie produzieren nicht mehr für den örtlichen Markt, sondern sind auf den Absatz und die Wirtschaftslage an fremden Märkten angewiesen. Bleibt eine Vorschusszahlung der Verlage aus – das Wort »verlegen« bedeutet nichts anderes, als eine Sach- oder Geldleistung im Voraus zu bezahlen – stockt nicht nur die Produktion, die Produktionsbetriebe geraten auch in existenzielle Not. In Zentren der Tuchproduktion wie dem flandrischen Ypern sind über 50 % der etwa 30.000 Einwohner im Tuchgewerbe beschäftigt.

Seit dem 14. Jahrhundert beschäftigen die städtischen Verlage zunehmend Heimarbeiter:innen im Umland der Städte, die niedrigere Löhne bzw. Stückpreise verlangen. Vor allem bei der Herstellung von Leinentüchern lässt sich diese Praxis feststellen, welche sich bis in das 18. Jahrhundert hinein halten wird. Für viele Bauernfamilien stellt das Leinenweben eine zusätzliche Erwerbsquelle dar. Allerdings sind auch sie auf die Vermittlung eines Verlags angewiesen und von ihm abhängig. Erst die Verlage bündeln die Produktion, eröffnen den Zugang zu den städtischen Märkten und ermöglichen so den Absatz.

Die von einem Verlag abhängigen Textilproduzierenden arbeiten zum Teil unter sehr nachteiligen Bedingungen. Zwar setzt sich zum Ende des 15. Jahrhunderts eine faktische 5-Tage-Woche durch, aber enge Liefertermine und schlechte Bezahlung führen immer wieder zu Beschwerden. Auch hinter den Verboten von Nachtarbeit in manchen Städten stehen keine sozialen Beweggründe. Sie gehen zurück auf die Sorge um eine mangelhafte Produktqualität – viele der feinmotorischen Arbeiten im Textilgewerbe können schließlich nicht bei Kerzenschein erledigt werden. 

Vor allem am Wunsch nach einer angemessenen, die Existenz sichernden Entlohnung entzünden sich immer wieder Konflikte. Streiks, Boykotte und die Zerstörung von Produktionsanlagen begleiten die Entwicklung einer arbeitsteilig und europaweit agierenden Textilindustrie bereits im Mittelalter. Gegen solche Unruhen gehen die Städte immer wieder mit Verordnungen, aber auch mit Gewalt vor. 

Cornelis Gerritsz. Decker: Weberwerkstatt (1659). Detail. Öl auf Eichenholz. Maße: 45 × 55,7 cm. Rijksmuseum Amsterdam. SK-A-2562.

Vor allem auf dem Land hält sich die bäuerliche Leinenweberei bis in das 18. Jahrhundert.